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Nun schätze ich die leisen Töne in der unheimlichen Phantastik sehr und wenn Gespenster fast unsichtbar auftreten. Bei Walter de la Mare ist aber dieses Wirken so dezent, dass es eigentlich gar nicht erst stattfindet. Am ehesten noch bei "All Hallows" oder der von merkwürdigen Insekten und Vögeln bewohnte und fremdartige Blüten tragende Baum ("Der Baum"), aber ansonsten kann man die Ereignisse in diesem Band auch rational erklären. Zwar wirken Mr. Kempe (in der gleichnahmigen Erzählung) und Mr. Bloom ("Der Einsiedler") auf ihre Besucher zumindest befremdlich (wenn diese in einem Zimmer eingesperrt werden oder ihnen unbemerkt der Autoschlüssel abgenommen wird), doch kann man dieses Verhalten auch mit der Einsamkeit der beiden Männer erklären, die ihre zufälligen Besucher unter allen Bedingungen zumindest eine Weile bei sich behalten möchten; eine direkte Bedrohung geht von Mr. Bloom und Mr. Kempe nicht aus. Während "Die Wesen" auch menschliche Missbildungen sein können, kann die Erscheinung, die Jimmie in "Aus der Tiefe" heimsucht, seinem angeschlagenen Gesundheitszustand und der überreizten Fantasie entsprungen sein. __________________
Was sehr ermüdet, ist der weitschweifige Erzählstil de la Mares, der alles und jedes sehr unaufgeregt und umständlich und ins kleinste Detail schildert. So beansprucht alleine der Weg des Schulmeisters vom Dorf bis zum Anwesen von Mr. Bloom zehn der zweiunddreißig Seiten, die diese Erzählung umfasst - zehn Seiten, auf denen nur über die Beschaffenheit des Weges und die Aussicht geschrieben wird und welche Gedanken dem Spaziergänger durch den Kopf gehen. Ingesamt nehmen Schilderungen von Zug- und Autofahrten, Wanderungen und Spaziergängen so unverhältnismäßig viel Umfang ein, dass für eine Handlung kaum mehr Platz bleibt. Warum zum Beispiel "Seatons Tante" oft in die Nähe von Vampirgeschichten gerückt wird, ist ebenfalls unklar: Allenfalls eine Furcht des Neffen vor seiner Tante und eine tiefe Abneigung ihrerseits ist hier zu erkennen, aber ein vampirhaftes Verhalten ist an keiner Stelle zu erkennen, noch nicht einmal im übertragenen Sinn. Und auch diese Erzählung lässt den Leser ratlos zurück, denn sie endet mit dem Hinweis, dass Seaton vor seiner Hochzeit verstorben sei - keine Erklärung, kein Nachfragen seitens des Erzählers.
So zeichnet die Geschichten des Bandes aus, dass die meisten sich abseits der Norm und Gesellschaft bewegenden Personen höchstens als eigenbrötlerisch, kauzig oder befremdlich zu bezeichnen sind. Und der Untertitel des Buches ("Seltsame Geschichten") trifft den Charakter der Erzählungen stimmig, denn es mutet seltsam an, in einer Reihe, die sich der Phantastik verschrieben hat, solchen Stoff zu finden. Immerhin lautet das Motto der "Bibliothek des Hauses Usher", in der dieser Band zuerst erschien, 'Can such things be?', was man hier ohne zu überlegen beantworten kann mit "Ja, diese Dinge können tatsächlich sein." Und somit ist dieses Buch der am wenigsten von Gespenstern und unheimlichen Mächten heimgesuchte Band dieser Reihe.
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Nur der Mond schwamm immer noch leuchtend und wunderbar in den unermesslichen Weiten des funkelnden ukrainischen Himmels; ebenso majestätisch atmete die ungeheure Höhe, und die Nacht, die göttliche Nacht verglühte; ebenso schön lag die Erde im verzauberten Silberlicht.
Nikolaj Gogol: Die Mainacht oder Die Ertrunkene