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Mark Helprin: Wintermärchen
Verfasst: Mo Nov 21, 2016 11:04 pm
von Olivaro

Wintermärchen
Verfasst von Mark Helprin
Originaltitel: A Winter's Tale, 1983
Aus dem Amerikanischen von Hartmut Zahn
Titelbild von Fred Marcellino
705 Seiten
Erschienen 1984
Gustav Lübbe Verlag
Verfasst: Di Nov 22, 2016 11:15 pm
von Waldfee
Eines meiner Lieblingsbücher. Grade letztes Jahr habe ich es nochmals gelesen. Trotz des nicht gerade geringen Umfangs ist auch die erneute Lektüre iimmer wieder ein lohnendes Unterfangen, und letztlich ist es ja auch ein Kompliment für das Buch, wenn man es immer und immer wieder lesen mag.
Faszinierend, wie hier die - mitunter sehr - harte Realität in das Märchenhafte abgleitet und wie ein ausgesuchtes Ensemble von Haupt- und Nebenfiguren seine Wege abschreitet und diese sich immer wieder wie zufällig und doch absolut gewollt kreuzen. Man möchte keinen Moment missen.
(nur nebenbei: auch Helprins Roman Ein Soldat aus dem Großen Krieg sei hier empfohlen. Ein ebenso groß angelegtes Buch wie Wintermärchen, das mit ähnlicher Souveränität über die Ziellinie gebracht wird.
Ausdrücklich nicht empfehlen kann ich die Verfilmung von Wintermärchen. Langweiliger Schnarchkram, da reißen es auch Schauspieler wie Russell Crowe, Jessica Brown Findlay und Jennifer Connelly nicht mehr heraus. Hier wurde ein verzaubernder Märchenstoff zu einem plüschigen Kitschmonster runtergedimmt. Dem Facettenreichtum der Vorlage kann der Film schon aufgrund der Zeitbeschränkung eines Spielfilms nicht gerecht werden, so wurde der große Stoff auf einige wenige Handlungselemente entkernt; außerdem hat's für meinen Geschmack zu viel Colin Farrell und für ein Wintermärchen eindeutig zu wenig Schnee)
Verfasst: Do Mai 10, 2018 10:36 pm
von Olivaro
Was hier als "Wintermärchen" angeboten wird, entpuppte sich als Buchereignis des Jahres 1984, dem Orwell-Jahr. Eigentlich kein Roman im eigentlichen Sinn, vielmehr eine Anzahl einzelner Erzählungen, stellt dieses Werk ein faszinierendes Bild von New York während eines Jahrhunderts dar. Jedoch ist dieses beschriebene beschriebene New York ganz anders: Metropolis, Moloch und moderner Garten Eden, so präsentiert sich Mark Helprins 'Big Apple'. Dem Autor gelingt es, alle Fäden einer weit verzweigten Handlung sich in Händen zu halten und keine zu verlieren. Ein großartiges Beispiel hierzu stellt Peter Lake dar, die Schlüsselfigur des Romans. Er stürzt sich auf seinem Pferd Athansor während einer Auseinandersetzung mit den 'Short Tails', einer lokalen Gangstergruppe, von einer New Yorker Brücke. Aber anstatt zu fallen, erhebt sich der weiße Hengst mit seinem Reiter gen Himmel und durchbricht die Wolkendecke. Peter Lake schließlich "stürzt hinein in die tosende Unendlichkeit". Fast zweihundert Seiten und fünfzig Jahre später kehrt Peter Lake auf die Erde zurück - zurück in das noch immer träumende New York. Dort harrt man schon der Ankunft des neuen Jahrtausends, und ein neuer Zeitgeist prägt die Menschen in der großen Stadt.
New York steht hier nur für alle Städte der Welt, die der Zukunft voller Hoffnung und Zuversicht entgegenblicken (sollen). Mark Helprins 'Winter's Tale' stellt einen Glücksfall in der modernen Literatur dar, zugleich war und ist der Roman das geeignete Gegenstück zu Orwells pessimistischem "1984": "Wintermärchen" ist die positivste Utopie überhaupt. Und ein zeitlos schönes Buch, das vom Himmel auf die Erde gefallen ist.